„Erlebnisse sind die Grundlage anhaltender emotionaler Bindungen“

Das Automobil ist schon immer mit Attributen wie Leidenschaft, Bindung und hoher Emotionalität verknüpft. Automobilhersteller machen sich diese Werte zu Nutze und setzen auf emotionale Markenerlebnisse. Car Design-Experte Professor Paolo Tumminelli über Emotional Branding in der Automobilindustrie, dessen Instrumente und Erfolg.

Herr Professor Tumminelli, immer mehr Automobilhersteller setzen zur Bildung eines Markenimages und Bindung der Kunden auf emotionale Inhalte. Wie kommt es dazu?

Das Automobil suggerierte schon immer eine hohe Emotionalität. Der Mythos Automobil gründete sich vor 120 Jahren genau darauf: Der Mensch erlebte eine neue Dimension von Geschwindigkeit, Spannung und Emotion. Noch heute bedient kein Produkt so vollumfänglich Emotionen und Sinne: über Sound, Geruch, Haptik, Geschwindigkeit, Sicherheit, Freiheit, Mobilität und, und, und. Warum sollten sich die Automobilhersteller diese Emotionen nicht zunutze machen? Wenn man sich die westlichen Märkte anschaut, kann man sagen, dass der Automarkt um die Jahrhundertwende satt war. Man brauchte eigentlich keine Autos mehr – die Autos waren gut, sie verbrauchten wenig, boten Sicherheit. Die Technik hatte einen Stand erreicht, der mit Argumenten und Hard Facts kaum zu übertreffen war. Und so begann man, mit Soft Facts des Designs und Marketings zu arbeiten.

Können Sie uns hierfür Beispiele nennen?

Da fallen mir zunächst neue Dimensionen wie der Sound ein. Man erkennt unschwer, dass das Geräusch des Auspuffs lauter und saftiger wird, die Hersteller den Sound also individualisieren und damit auch emotionalisieren. Die Autos sind zwar lauter geworden, aber sie haben einen Charakter bekommen. Dann gibt es eine weitere Dimension der Emotionalisierung, die aus der Tatsache rührt, dass das Automobil eigentlich eine Hightech-Seele hat – die Kommunikations- und Unterhaltungsebene: Die Hersteller bieten Displays, Schaltpaneele und Bildschirme, die der Kunde personalisieren kann. Er kann sein Auto mitgestalten und beliebig oft neu konfigurieren, wie er mag. Er wird vom Auto erkannt und begrüßt. Das alles bindet Emotionen. Und dann gibt es natürlich noch Emotionalisierung über große Markenerlebnisse: sei es in Erlebniswelten wie der BMW Welt und der VW Autostadt, sei es über themenbezogene Events oder Fahrerlebnisse.

Worum geht es bei all dem?

Die Antwort ist zunächst banal: Es geht darum, dass die Automobilhersteller uns Autos verkaufen und uns an ihre Marke binden wollen. Aber das moderne Marketing hat erkannt, dass das Produkt alleine nicht mehr ausreicht. Man muss Geschichten erzählen, man muss Storys mit Content überladen. Es ist doch ganz klar: Wenn ich ein Auto kaufe, dann ist die eine Sache, es im Internet oder im Schaufenster eines Händlers zu sehen. Die andere aber ist, es wirklich zu erleben. Erst im Erleben glaube ich wirklich: Hey, ich hab das absolut ultimative Produkt! Die Automobilindustrie geht die Sache heute holistisch an. Sie will, dass sich die Kunden in der automobilen Welt gut aufgehoben fühlen und Spaß daran haben.

Das heißt, das Automobil soll einerseits im Alltäglichen verankert sein und andererseits das Erleben von nicht Alltäglichem ermöglichen?

Autofahren ist immer langsamer geworden, langweiliger und eingeschränkter durch Blitzgeräte, Fahrverbote und Speed-Bumps. Also versucht die Automobilindustrie, das zu kompensieren mit einer Traumdimension: „Ich zeige dir das Auto in seiner Welt und Vielfalt, so kannst du das Auto wirklich erleben.“ Das ist zunächst die Befreiung des Automobils aus den Fängen der Ampeln und Kreisverkehre dieser Welt. Darüber hinaus wird das Objekt mit Bedeutung überladen. Die ganze Romantik, die man aus den Möglichkeiten des Lebens kennt, wird auf das Automobil übertragen. Nun kann man nicht nur mit seinem Partner, sondern auch mit seinem Auto ein Traum-Wochenende verleben und ihm im Sonnenuntergang entgegenfahren. Das ist vielleicht ein bisschen zugespitzt, aber durch solche Erlebnisse kann eine ganzheitliche Markenwelt erschaffen werden. Erlebnisse sind die Grundlage anhaltender emotionaler Bindungen, das weiß die Soziologie. Die Gefühls- und Erfahrungswelt verankert sich.

Welche Instrumente gibt es darüber hinaus, dessen sich die Automobilindustrie hierzu bedient?

Mit den aktuellen Technologien sind das auch digitale Plattformen, die genutzt werden. Die Hersteller können jederzeit wissen, wo ein Auto ist oder ob der Fahrer ein Problem hat, weil sie über das Automobil mit dem Besitzer kommunizieren können – direkt. So wie wir es gewohnt sind, mit Freunden und Familie über WhatsApp, Email oder Anruf im Austausch und erreichbar zu sein, können wir nun auch mit unserem Automobilhersteller verbunden sein. Er wird sozusagen ein Lebensbegleiter, und das etabliert eine neue Art von Bindung – in jeder Form: ob es dem einen schmeichelt und den anderen nervt. Und sie zahlt immer wieder auf die alte Theorie des Automobils ein: Wenn du in dein Auto steigst, sollst du dich wohlfühlen, glücklich sein und einen Moment der Erleichterung vom Alltag spüren.

Sie haben auch Fahrerlebnisse als ein Marketinginstrument angesprochen. Wo sehen Sie den emotionalen Wert solcher Events, der uns als Rennstrecke natürlich im Besonderen interessiert?

Fahrerlebnisse sind eine Möglichkeit, das Automobil in seinem ganzen Leistungspotenzial zu erleben. Und für einige Automobilinteressenten und -freunde stellt die Schnellfahrt den Höhepunkt, den Gipfel der Erlebnisse dar. Das ist verständlich, denn es ist eine Kultur der Automobilindustrie, die gepflegt werden muss – auch wenn andere Automobilbesitzer andere Erlebnisse mit ihrem Fahrzeug verknüpfen oder wichtiger finden: sei es etwa das Natur erkunden mit dem Auto oder – wenn man die ganze VanLife-Bewegung betrachtet – das Übernachten in einem Fahrzeug. Es gibt halt Autos, die genießt du auf der Landstraße, und es gibt solche, die genießt du auf der Rennstrecke. Und das ist wunderbar, denn die Straße bietet das nicht mehr. Man darf nicht vergessen, dass es in den 70er-Jahren noch keine Geschwindigkeitsbeschränkung gab. Als ich angefangen habe, Auto zu fahren, konnte man es wagen, 200 Stundenkilometer auf der Landstraße zu fahren. Heute traut sich das keiner mehr. Die Rennstrecke jedoch lässt das Erleben des Automobils in seiner unkastrierten Form und seinem Ursprung noch zu. Den Thrill und die Emotionen, die dabei entstehen, nimmt man nachher mit, sie halten an und binden – an die Seele des Automobils, aber natürlich auch an die Marke.

Text: Nicole Thesen (Zimmermann Editorial)

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